Studentenheimvertrag wegen Pandemie gekündigt

Durch den Ausbruch der COVID-19-Pandemie wurden nicht nur viele Schulen durch die Umstellung auf Distance-Learning vor Herausforderungen gestellt, sondern auch Universitäten und deren Studenten. Dies hatte unter anderem zur Folge, dass viele Studentenheimzimmer unbewohnt blieben. Doch durfte unter diesen Umständen ein Studentenheimvertrag vorzeitig gekündigt werden oder musste der vereinbarte Mietzins weiter entrichtet werden? Dies galt es in einem Rechtsstreit festzustellen, der bis zum Obersten Gerichtshof (OGH) gelangte.

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Eine slowakische Studentin, die im Herbst 2019 mit einem Studentenheimbetreiber in Wien einen einjährigen Benützungsvertrag über ein Studentenheimzimmer geschlossen hat, begehrte Anfang April 2020 die vorzeitige Vertragsauflösung. Die Pandemie forderte aber nicht nur eine Umstellung des Lehrbetriebs auf „Distance-Learning“, sondern auch die Einstellung internationaler Zug- und Busverbindungen zwischen Wien und Bratislava. Zudem geriet die Familie der Studentin in eine soziale Notlage, da sich ihre Eltern in Folge der Pandemie in finanziellen Schwierigkeiten befanden. Sie ersuchte daher um eine Mietzinsreduktion, die ihr jedoch vom Studentenheimbetreiber verwehrt wurde. Daraufhin verkündete sie den Studentenheimvertrag zum „frühestmöglichen Zeitpunkt“ kündigen zu wollen. Dies sei aber erst zum Semesterende (hier also Ende Juni 2020) möglich, da nach Ansicht des Studentenheimbetreibers kein rechtfertigender Grund zur vorzeitigen Vertragsauflösung gemäß Studentenheimgesetz[1] vorliege. Die soziale Notlage der Familie liege nämlich nicht in der Sphäre der Studentin und das Zimmer sei außerdem weiterhin benützbar.

Die Studentin zahlte daraufhin zwar den geforderten Mietzins weiter, zog aber aufgrund der Umstände aus ihrem Studentenheimzimmer aus. Sie kontaktierte die Arbeiterkammer, welche für sie den Studentenheimbetreiber auf Rückzahlung des Benützungsentgelts für die Monate April bis Juni klagte. Ihr Klagebegehren begründete sie damit, dass sowohl die plötzlich auftretende soziale Notlage als auch die Coronakrise als wichtige Gründe eine vorzeitige Kündigung rechtfertigen. Das Erstgericht (Bezirksgericht Donaustadt) und das Berufungsgericht (Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien) wiesen jedoch die Klage ab. Die Voraussetzungen für eine frühere Vertragsauflösung seien ihren Vernehmen nach nicht gegeben. Darüber hinaus sei das Studentenheimzimmer trotz Distance-Learning weiterhin brauchbar gewesen und das freiwillige Verlassen des Studienorts der Sphäre der Studentin zuzurechnen.

Der OGH teilte die Ansicht der Vorinstanzen nicht und stellte fest, dass die Kündigungsbestimmungen des Studentenheimgesetzes die Anwendbarkeit des § 1117 ABGB unberührt lassen. Der Vertrag könne also auch aus Gründen, die nicht in der Sphäre des Bestandnehmers liegen und die den bedungenen Gebrauch des Bestandgegenstands unmöglich machen, vorzeitig aufgelöst werden. Im vorliegenden Fall liege der rechtfertigende Grund in der Coronakrise und die damit einhergehende Umstellung auf Distance-Learning sowie den Reisebeschränkungen zwischen Studienort und Wohnsitz.

Die Vermietung eines Studentenheimzimmers habe außerdem den Zweck, dem nicht am Studienort wohnhaften Studenten den persönlichen Austausch mit Lehrenden und anderen Studierenden sowie die Teilnahme am Unterricht zu ermöglichen. Dieser Zweck konnte aber unter den pandemiebedingten Umständen nicht erreicht werden, weshalb die Benützung des Studentenheimzimmers der Studentin nicht zumutbar war.

Der OGH kam zum Schluss, dass die vorzeitige Vertragsauflösung gemäß § 1117 ABGB rechtens erfolgte und somit der Anspruch auf Rückzahlung des Mietzinses für die drei betroffenen Monate zu Recht besteht.

Entscheidung: OGH 23.02.2022, 4 Ob 191/21y


[1] Vgl. § 12 Abs 3 Studentenheimgesetz (StudHG)

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